Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig
Karl-Heinz Ohlig hat Kath. Theologie, Philosophie und Geschichte in Trier studiert, 1969 bei Karl Rahner promoviert, war bis 2006 Prof. für Kath. Theologie und später für Religionswissenschaft an der Uni Saarbrücken. Er leitet „Inrah, Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran“.
Seit der Aufklärung wissen wir, dass die Evangelien nicht einfach Schilderungen des Lebens Jesu sind, aus denen sich eine Art Biographie erstellen ließe. Vielmehr sind sie davon geprägt, dass sie weniger Jesu Botschaft wiedergeben, sondern ihn vielmehr als Heilsmittler verkündigen wollen. Die Evangelien zeichnen ihn beispielsweise als Messias, endzeitlichen Menschen- und Gottessohn; sie bieten Verkündigung und nicht primär historische Information. Dennoch ist es Aufgabe der Bibelwissenschaft, zu versuchen, die geschichtlichen Abläufe soweit möglich zu erarbeiten und einen Zugang zum "historischen Jesus" zu eröffnen. Dann stellt sich die Frage: Wie kam es dazu, diesem Jesus derart gewaltige Hoheitstitel zuzuschreiben, die dann in der weiteren Kirchengeschichte immer mehr vertieft wurden? Ist eine solche Entwicklung gerechtfertigt und wie passen die Hoheitstitel zur Armutsgestalt Jesu?
Diese Zusammenhänge werden erörtert und diskutiert.
Den historischen Jesus entdecken
(Handout zur Matinee am 20.10.2013)
Albert Schweitzer hat im Jahre 1906 in seinem Buch „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" diese For- schungsrichtung hart kritisiert, weil sie allzu sehr eigene Vorstellungen auf einen Jesus zu projiziere, der ganz anders war und der auch historisch nicht mehr hinreichend zugänglich sei („Ende der Leben-Jesu-Forschung“).
Außerbiblische Quellen
Der jüdische Schriftsteller Josephus Flavius schrieb ungefähr im Jahr 93 oder 94 n.Chr. in dem Buch „Jüdische Altertümer" vom Prozess, der Verurteilung wegen Gesetzesübertretung und der Steinigung des Jakobus im Jahre 62 n.Chr. und erwähnt beiläufig, dass er ein „Bruder Jesu, des sogenannten Christus", war. Eine andere, wesentlich ausführlichere Stelle über Jesus ist offensichtlich von christlicher Hand später eingefügt worden und in der vorliegenden Form nicht brauchbar.
Anspielungen auf Jesus in den umfangreichen Talmudsammlungen, die eine über Jahrhunderte entstandene Grundschrift des pharisäischen Judentums bilden, sind in ihrer historischen Zuverlässigkeit oft fraglich. Immerhin bestätigen sie soviel, dass Jesus am Vorabend des Passahfestes „gehängt" wurde, weil er Zauberei getrieben und Israel verführt habe.
Tacitus berichtet in seinem Geschichtswerk Annales (zwischen 110 und 120 n. Chr)., dass Kaiser Nero den Brand, bei dem große Teile Roms zerstört wurden, selbst angeordnet, und um seine Schuld zu vertuschen, ihn den „Christianem" in die Schuhe geschoben habe, „Der Begründer dieses Namens, Christus, war unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden" (Annales 15, 44).
Die Evangelien als Quellen
Nach dem Tod Jesu wurden seine Worte und Taten, soweit sie der Verkündigung des neuen Glaubens dienten, weitertradiert. Erst rund vierzig Jahre später aber, also etwa im Jahre 70, wurden von einem Judenchristen, der seit der ersten Hälfte des 2. Jh.s als Markus bezeichnet wird, die ihm zugänglichen Überlieferungen aufgeschrieben; hierbei bearbeitete er die Stoffe so, dass das Leben Jesu als „Frohe Botschaft" (Evangelium) erzählt wurde. Weitere rund zwanzig Jahr später ergänzten zwei andere uns unbekannte Autoren, die seit dem 2. Jh. als Matthäus und Lukas namhaft gemacht werden, den Markustext, indem sie zusätzliche Überlieferungsmaterialien hinzufügten und manches auch anders interpretierten. Weil sie sich in der Darstellung der Abfolge aber weithin an dem Markusevangelium orientierten, erscheint das Leben Jesu bei allen dreien auf eine vergleichbare Weise; deswegen werden sie die drei „Synoptiker" genannt (von griech.: Synopse=Zusammenschau). So gut wie unabhängig von ihnen, und deswegen in Vielem abweichend, schrieb, vielleicht wiederum zehn Jahre später, also um das Jahr 100, der vierte Evangelist, der seit dem 2.Jh. als Johannes überliefert ist, ein viertes Evangelium. Das Markusevangelium beginnt mit der Predigt des Johannes und der Taufe Jesu und endet mit dem leeren Grab (16,8); die folgenden Verse (16,9-20) mit Erscheinungsberichten des Auferstandenen sind – der „unechte Markusschluss" – im 2. Jh. angefügt worden. Matthäus und Lukas übernehmen diesen Rahmen, stellen aber vor die Taufe die sogn. Kindheitsgeschichten und fügen am Schluss Erscheinungsberichte hinzu. Letzteres macht auch Johannes, aber die Einleitung seines Evangeliums ist der sogn. Prolog („Im Anfang war das Wort..."), ohne Erzählungen von der Kindheit Jesu.
Die „zwei-Quellen-Theorie"
Matthäus (Mt) und Lukas (Lk) legten ihren Evangelien das Markusevangelium (Mk) zugrunde. Daneben benutzten sie gemeinsam eine zweite große Quelle (Q), die man heute aus den Texten rekonstruiert, die beide über Mk hinaus gemeinsam haben. Diese Quelle bietet kaum Erzählerisches aus dem Leben Jesu, sondern beinahe ausschließlich Worte des Täufers oder, vor allem, Jesu; deswegen wird sie als auch Rede-, Spruch- oder (griechisch) Logienquelle bezeichnet. Diese Quelle ist in den Anfängen sehr alt, von apokalyptischen Vorstellungen und einer frühen theologischen Entwicklungsstufe geprägt. In ihren Anfängen ist sie, als mündliche Überlieferung, wohl entstanden, als sich die noch junge Jesusbewegung - bald nach Ostern - von der jüdischen Mutterreligion trennte. Jetzt fielen „Gesetz" und „Tempel", die bisherigen Bezugspunkte für die eigene Identität, weg; an ihre Stelle traten Worte Jesu als die neue Weisung. Im Lauf der Zeit sind dann immer weitere Traditionen hinzugefügt worden. Lk fügte diese Stoffe in zwei „Einschaltungen", eine große und eine kleine, in die Abfolge des Mk-Evangeliums ein, Mt stellte aus ihr die fünf großen Reden Jesu - darunter die Bergpredigt - zusammen. Daneben benutzten sie jeder noch sogn. Sondergut (S), z.B. die Kindheitsgeschichten und die Erscheinungsberichte.
Einige „Realien“
Palästina im Römischen Reich
Palästina war im Jahre 64 v. Chr. von dem Feldherrn Pompeius dem Machtbereich des Römischen Imperiums eingegliedert worden. Die jüdischen Verwaltungsbezirke beschränkte er auf Judäa, Samaria, Galiläa und Peräa. Herodes I. (37-4 v. Chr.), später der Große genannt, konnte mit Hilfe und unter der Oberherrschaft Roms zunächst Judäa, bald auch weitere Territorien in seine Gewalt bringen. Er regierte mit Hilfe von Söldnern wie ein hellenistischer Fürst und entfaltete eine rege Bautätigkeit. Von neurotischer Angst um seine Macht getrieben, ließ er zahlreiche Menschen, darunter auch (mit römischer Erlaubnis) einige seiner eigenen Kinder – wohl der historische Kern der Erzählung vom Kindermord in Bethlehem – umbringen. Nach dem Tod des Herodes teilten seine drei Söhne Palästina unter sich auf. Herodes Antipas bekam Galiläa und Peräa und regierte noch bis 39 n.Chr.; Philippus erhielt die nördlichen Gebiete und Archelaus wurde Herr über Judäa, Samaria und Idumäa. Die Römer setzten ihn im Jahre 6 n.Chr. wegen seiner Misswirtschaft ab und schickten einen Landpfleger an seiner Stelle, der nun die römische Herrschaft unmittelbar ausübte; die genannten Gebiete waren jetzt römische Provinz. In der späteren Lebenszeit Jesu war Pontius Pilatus - ein recht unduldsamer Mann - Statthalter und Herr in Judäa und Samaria, während in Galiläa noch Herodes Antipas von den Römern als König geduldet wurde. Gaius Octavianus (*63 v.Chr., gest. 14 n.Chr.), dem Adoptivsohn Cäsars, wurde vom Römischen Senat der Titel „Augustus" verliehen; während seiner Regierungszeit (30 v. Chr. bis 14 n. Chr. Alleinherrscher) wurde Jesus geboren. Unter seinem Nachfolger Tiberius (reg. 14-37 n. Chr.) lebte Jesus als junger Mann in Nazareth, trat als Wanderprediger auf und wurde hingerichtet.
Der See Genesareth, ein Süßwassersee, liegt 208 m unter dem Meeresspiegel und war reich an Fischen. Die Stadt Tiberias wurde z.Zt. Jesu gegründet.
Das Tote Meer ist ein rund 85 km langer und bis zu 16 km breiter Binnensee, liegt rund 390 m unter dem Meeresspiegel und somit an der tiefsten Stelle der Erdoberfläche. Sein Gehalt an Salzen und Mineralien ist sehr hoch, so dass es in ihm kaum organisches Leben gibt.
Qumran
Im Jahre 1947 entdeckte ein junger Beduine in einer Höhle nordwestlich des Toten Meeres die ersten in Tonkrügen aufbewahrten Schriftrollen, die sich bald als zweitausend Jahre alte Dokumente erwiesen. Mittlerweile sind ein Fülle weiterer Schriftrollen gefunden worden, die Texte aus beinahe der gesamten Hebräischen Bibel wie auch aus dem Leben und der Theologie einer jüdischen Mönchsgemeinde wiedergeben. In der Nähe stieß man auf Grundmauern von Gebäuden, durch Grabungsarbeiten wurden die Überreste eines großen Klosterkomplexes sichtbar. Er bestand spätestens seit dem 1. Jh. v. Chr. bis um das Jahr 70 n. Chr. Damals versteckten die Mönche anscheinend ihre ganze Bibliothek in den nahegelegenen Höhlen. Kurz darauf wurde das Kloster zerstört.
Nag Hammadi
Erst 1946 wurde in Nag-Hammadi in Oberägypten eine ganze Bibliothek, darunter auch apokryphe neutestamentliche Schriften, entdeckt, die von gnostischen Christen verfasst waren.
Messianische Erwartung
Schon seit der frühen Königszeit konkretisierte sich die Hoffnung auf bessere Zeiten, entsprechend der monarchischen Strukturen, auf einen Friedensfürst, einen gerechten König aus dem Haus Davids. Man erwartete einen Messias (=Gesalbter, König). Seit dem Exil wurde es schwierig, auf Besserungen in der Geschichte zu hoffen. Es bildete sich die Vorstellung aus, erst wenn „dieser Äon“ vergangen sei, komme durch die Tat Gottes eine gänzlich neue Heilszeit. Da es keine jüdischen Könige mehr gab, wurde der Messias zum Symbol der erhofften Zeitenwende. Sei der Mitte des 2. Jhs v.Chr. steigerte sich diese Hoffnung, auch durch Übernahme persischer Motive, zur Naherwartung der kommenden Königsherrschaft Gottes (Apokalyptik). Alles sollte bald zum Besseren gewendet werden.
Religiöse Parteien z.Zt. Jesu
Z.Zt. Jesu bestimmten drei religiöse „Parteien" das Bild: Pharisäer, Sadduzüer und Essener. Die Wurzeln der pharisäischen Bewegung reichen bis in die frühe nachexilische Gemeinde im 6. Jh. v. Chr. zurück. Sie stellten das Gesetz in den Mittelpunkt ihres Lebens und der Gemeinschaft; beileibe nicht alle taten dies auf eine engstirnige oder selbstgerechte Weise, wie es in der Polemik der Evangelien erscheinen kann. Die Sadduzäer, eine priesterliche Gruppe, nahm politische Rücksichten auf die Römer und war auch sonst nicht an ganz engen jüdischen „Mitgliedsbedingungen" interessiert. Die Essener erwuchsen aus dem Widerstand gegen hellenistische Einflüsse schon seitdem 2. Jh. v. Chr. Sie versuchten eine strenge Absonderung von der Welt, die in mönchischer oder – für Eheleute – asketischer Weise verwirklicht wurde; Qumran war das bedeutendste Zentrum dieser Bewegung. Darüber hinaus sind noch die Zeloten zu erwähnen, die die Ablehnung fremder Einflüsse auch mit der Waffe in der Hand betrieben.
Der Synagogengottesdienst
Der Synagogengottesdienst - ein Wortgottesdienst – hatte sich während des babylonischen Exils (6. Jh. v. Chr.) entwickelt; damals wohnten die Exilierten weit weg vom (zerstörten) Tempel, wo allein Tier- und Pflanzenopfer dargebracht werden durften. Während des Gottesdienstes durfte jeder jüdische Mann nach vorne gehen, aus der Thorarolle vorlesen und den Text auslegen. Die Gemeinde antwortete mit Gebeten und Liedern (Psalmen). Von Jesus wissen wir, dass er von dem Recht, die Schrift auszulegen, öfters Gebrauch machte, und auch die frühen christlichen Missionare („Apostel") begannen ihre Mission meist mit einer Schriftlesung und Predigt in den Synagogen in der jüdischen Diaspora rund um das Mittelmeer.
Der Tempel
Der von Salomo errichtete erste Tempelbau in Jerusalem war zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. von den Babyloniem zerstört worden. Der nach dem Exil seit dem 5. Jh. v.Chr. allmählich durch die Anstrengungen des ganzen Volkes neu aufgebaute zweite Tempel war recht bescheiden ausgefallen. Herodes I. ließ die Anlage ab 20 v. Chr. von Grund auf erneuern; die Pracht und Schönheit des salomonischen Tempels sollte wiederhergestellt werden. Zehntausende von Bauarbeitern waren hier beschäftigt, und auch nach seiner baldigen Fertigstellung wurde – noch über die Zeit Jesu hinaus - in einigen Bereichen weitergebaut.
Jesus
Die Bezeichnungen Jesus und Christus
Schon lange vor dieser Zeit hatten die Juden ihre Muttersprache Hebräisch aufgegeben, das nur noch als heilige Sprache der Schrift und der Psalmen benutzt und in den Gottesdiensten übersetzt werden musste. Die damalige Umgangssprache in Palästina, auch die Jesu, war das Aramäische, eine verwandte semitische Sprache, die im Babylonischen Großreich gesprochen worden war (in einer späteren Entwicklungsstufe als syrisch bezeichnet). Der Name Jäsús (griech.) oder Jesus (latein.) geht auf den hebräischen Namen Joschua oder Jehoschua oder - in einer Nebenform - Jeschua bzw. Jeschu („der Herr rettet") zurück. Später wurde Jesus als Messias, griechisch Christus, bezeichnet; dieser Hoheitstitel wurde bald, teilweise schon bei Paulus, zu einem zweiten Eigennamen Jesu.
Die Herkunft Jesu
Nach der heute in den Bibelwissenschaften vertretenen Mehrheitsmeinung sind auch die Erzählungen über die Zeugung Jesu aus dem Heiligen Geist als Bekenntnisse zu seiner wunderbaren Erwählung von Anfang an zu verstehen, nicht als biologische Hinweise. Die sogn Jungfrauengeburt soll in einem Bild deutlich machen, dass das Kind, das von Maria geboren wurde, von Anfang an von Gott erwählt war (Die „Schwierigkeit der Geburt“ ist ein biblisches Bild, um die Erwählung eines Menschen anzuzeigen (Isaak, Mose, Johannes der Täufer). Jedenfalls hat Lukas keine Schwierigkeiten, einige Kapitel weiter Jesus als „Sohn Josefs" zu bezeichnen (Lk 4,22). Auch die nahe Verwandtschaft und Verbindung von Johannes dem Täufer und Jesus, wie sie im ersten Kapitel des Lukasevangeliums geschildert wird, ist wohl nicht historisch zu verstehen, sondern spiegelt vor allem die spätere religiöse Nähe dieser beiden Männer. Ähnlich dürften weitere Einzelheiten zu verstehen sein. Es ist ein alter Streit, ob Jesus nur der „erstgeborene", also älteste, oder der einzige Sohn seiner Eltern war. Als Jesus öffentlich predigte, lebten noch seine Mutter, einige Schwestern und namentlich genannte Brüder (vgl. Mk 6,3 = Mt 13,55; vgl. Mt 1,25); historisch muss wohl von diesen Aussagen ausgegangen werden.
Hoheitstitel Jesu
In der jüdischen Überlieferung gab es viele Begriffe, die zur Deutung eines für die Jahwereligion wichtigen Predigers zur Verfügung standen. Obwohl Jesus einen hohen Anspruch auf Nachfolge vertrat, legte er sich keinen von ihnen zu (etwa: ich bin der oder jener). Erst in den späteren Christengemeinden gab man Jesus Hoheitstitel, die umschreiben sollten, wie Jesus von ihnen interpretiert wurde. Judenchristen nannten Jesu ihren Messias (=Christus), den Sohn Davids, Menschensohn, auch schon Gottessohn (in dem Sinn, wie auch der jüdische König oder ganz Israel sich als Sohn Gottes auffasste); hellenistische Christen konnten mit den jüdischen Titeln nichts anfangen, sie nannten Jesus: Sohn Gottes (jetzt aber: in einem seinshaften Sinn), (göttlicher) Herr, Wort Gottes usf.
Das antike Wunderschema
Die Antike war wundergläubig, und so waren Wundererzählungen keine SeltenheitMeist wurde nach einem bestimmten Schema davon erzählt: Die Schwere der Krankheit und die vergeblichen Versuche, sie zu heilen, werden geschildert. Dann wird von den Manipulationen und Zauberformeln berichtet, die zur Wunderheilung führten. Schließlich äußern die Umstehenden ihr Erstaunen und ihre Bewunderung. Das Wunderschema ließ sich im Dienst des Christusbekenntnisses mit beeindruckenden Geschichten füllen, die unterschiedliche Gesichtspunkte ausdrücken sollten, z.B.: Jesus macht Menschen („Blinde") sehend, er macht Menschen („Stumme") sprachfähig, er eröffnet isolierten Menschen („auf Grund ihres Aussatzes Ausgestoßenen") Gemeinschaft usf.
Leidensweissagungen
Die frühen Christengemeinden schufen Formeln, mit denen sie – vor allem bei den Tauffeiern – ihren Glauben an Jesus bekannten: er hat für uns gelitten, ist gestorben und begraben worden und am dritten Tag wieder auferstanden. Weil sie diese Aspekte – rückblickend – bei Jesus grundgelegt sahen, legten sie die Formeln schon ihm in den Mund, indem sie sie ins Futur übertrugen: Der Menschensohn wird (oder muss) leiden, sterben, begraben werden und auferstehen. Auf diese Weise erscheinen die Bekenntnisse wie Leidensankündigungen, obwohl sie in Wirklichkeit nur den Glauben der Gemeinden wiedergeben.
Abendmahl
Unter den Bibelwissenschaftlern ist umstritten, ob das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern ein feierliches Abschiedsessen war (wie im Johannesevangelium) oder nach Art eines Paschamahls gestaltet war (wie bei den Synoptikern), ob die Brot- und Weinworte von Jesus vor seinem Tod gesprochen oder in dieser Form erst nach seinem Tod während christlicher Mahlfeiern zum Gedächtnis Jesu entwickelt wurden.
Geißelung
Die Geißelung war sowohl bei den Juden (höchstens 40 Stockschläge) als auch bei den Römern verbreitet. Letztere setzten sie ein, um Geständnisse zu erzwingen, zu bestrafen oder auch eine Hinrichtung einzuleiten. Weil es bei ihnen keine Beschränkung der Stock-, Ruten- oder Geißelschläge gab, starben nicht wenige der Betroffenen schon während dieser Tortur.
Römische Kreuzigung
Die Römer hatten die Kreuzigung, nach Cicero die grausamste Hinrichtungsart, von den von ihnen besiegten Karthagern übernommen. Sie war für Schwerverbrecher vorgesehen und durfte nicht an römischen Bürgern vollzogen werden. An der Hinrichtungsstätte standen meist schon in die Erde gerammte senkrechte Pfähle. Der Delinquent musste ein Querholz selbst dorthin tragen; er wurde entkleidet, und seine Arme wurden an den Balken festgebunden oder -genagelt. Dann wurde das Querholz hochgezogen und entweder an der Spitze (T-Form) oder etwas unterhalb (Kreuzesform) des senkrechten Pfahls befestigt. Der Tod trat oft erst nach langer Zeit, durch Ersticken oder Kreislaufversagen, ein.
Die Datierungsschwierigkeit
Umstritten ist die Platzierung des Todestages Jesu im jüdischen Kalender: Übereinstimmend war es bei den Synoptikern und Johannes ein Freitag, bei den ersteren aber der 15. Nisan, das Paschafest selbst, bei Johannes der 14. Nisan, der Vorabend des Pascha. Entsprechend ist bei Johannes das „letzte Abendmahl" ein feierliches Abschiedsessen, während Jesus als Paschalamm stirbt, bei den Synoptikern war das letzte Mahl ein Paschamahl. Was historisch zutrifft, ist schwer zu entscheiden. Einiges scheint für die Datierung des Johannes zu sprechen, weil es zumindest ungewöhnlich gewesen wäre, dass die Römer eine Kreuzigung am höchsten jüdischen Fest durchführen.
„Lebenslauf“ Jesu
Geboren zwischen 7 und 4 vor Beginn unserer Zeitrechnung (evtl. auch früher), ältester Sohn des Zimmermanns Joseph und seiner Frau Maria. Er lebte bis etwa zum Jahre 28 n. Chr. in dem kleinen Ort Nazareth in Galiläa, dann schloss er sich Johannes dem Täufer als Jünger an. Bald trennte er sich von seinem Lehrer, zog nach dessen Gefangennahme mit einigen seiner Jünger nach Galiläa und begann selbst zu predigen. Meist zog er mit einem engeren Kreis seiner Jünger als Wanderprediger durch das Land. Öffentlich wirkte er mindestens ein Jahr (Synoptiker), wahrscheinlich aber zwei bis zweieinhalb Jahre lang (Johannes), vorwiegend in Galiläa. Anlässlich eines Aufenthalts in Jerusalem zum Paschafest wurde er verhaftet und dem römischen Präfekten Pontius Pilatus überstellt. Dieser verurteilte ihn zum Tod, ließ ihn foltern und, höchstwahrscheinlich am 7. April des Jahres 30, am Kreuz hinrichten.