Dr. Albert Statz
Nachhaltige Entwicklung -.Ethisches Postulat und politische Strategie
Matinee vom 17.03.2019
Anmerkung des Webmasters: Der Originaltext des Autors musste bezüglich der graphischen Gestanltung mit Rücksicht auf die gegebenen Möglichkeiten leicht geändert werden, ohne aber die Aussage zu verändern
Referent und Autor: Dr. Albert Statz
(Dies ist die erweiterte Fassung der im mündlichen Vortrag erläuterten Notizen)
Gliederung
1. Was ist nachhaltiger Konsum?
2. Einleitung: Die Ausgangssituation - Gefahr der Selbst-Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und wachsende politische Sensibilität für ein „gutes Leben“
3. Grundlagen des Nachhaltigkeitsverständnisses
4. Ethischer und nachhaltiger Konsum
5. Die Grenzen der individuellen Verantwortung überwinden
6. Suffizienz – die Lehre vom „rechten Maß“
7. Staatliche Suffizienzpolitik
8. Sich den Konsumzwängen entziehen: Mode und Lebensstil
9. Nachhaltigkeitspolitik auf kommunaler Ebene
10.Alternativen vor Ort auf den Wegbringen: Transition Town-Initiative
11. Nachhaltiger Konsum und Engagement vor Ort – Hebel für eine grundlegende „Transformation“?
12. Lesehinweise
1. Was ist nachhaltiger Konsum?
● „Nachhaltige Lebensstile umfassen den Kauf der „richtigen Produkte“, einen „anderen“ Konsum und den bewussten Nicht-Konsum. Unsere Konsummuster sind dann nachhaltig, wenn wir nachfolgenden Generationen die Chance geben, ihren Lebensstil frei zu wählen.“
Rat für nachhaltige Entwicklung: Der Nachhaltige Warenkorb. Ein Ratgeber, üb. Auflage Berlin 2015, S. 5.
● Es gibt eine Flut von Öko- und Nachhaltigkeitsratgebern, insbesondere im oekom-Verlag München (s. Lesehinweise): „Besser leben ohne Plastik „, „…ohne Auto“, „Einfach Öko“, „Einfach Anziehend“ und viele mehr; Verbraucherschutz-Sendungen im Fernsehen
>> Präzisierung der Themenstellung: Möglichkeiten und Grenzen nachhaltigen Konsums und einer Veränderung der Lebensweise „von unten“ - was ist daran „politisch“ und welche Rolle kann „der Staat“ spielen?
2. Grundlagen des Nachhaltigkeitsverständnisses
● Multiple Krisen: Klima, Ressourcen, Energie, biologische Vielfalt etc. …
… und die politischen Grundlagen für ihre Bewältigung: Zukunftsorientierung - umfassender Politikansatz- Transformationsstrategie und Akteure
● Prinzipien und Ziele; „Befriedigung Bedürfnisse/gutes Leben“ und Verantwortung für künftige Generationen“ - intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit
3. Die Ausgangssituation - Gefahr der Selbstzerstörung unserer Lebensgrundlagen und wachsende politische Sensibilität für ein „gutes Leben“
● Wachstum als Triebkraft: Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und Unterwerfung der gesamten Lebensweise
~ Wachstum ist nicht gleich Wohlfahrt
~ Planetare Grenzen und globale Ungerechtigkeit
~ Individualisierung, Entsolidarisierung und Entpolitisierung
~ „Imperiale Lebensweise“ (Brand/Wissen)
● Papst Benedikt XIV
~ „Eine Moral, die die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze zu überspringen zu können meint, ist nicht Moral; sondern Moralismus, also das Gegenteil von Moral“.
~ Sachkenntnis Wirtschaft wird mit der herrschenden Wirtschaftsordnung gleichgesetzt
~ Die abstrakte Entgegensetzung von Wirtschaft und Moral ignoriert die Debatte um eine „ökosoziale“ Marktwirtschaft
● Papst Franziskus und die Encyklika „laudato si‘“„
~ Macht euch die Erde untertan“ und „Bewahrung der Schöpfung“
~ Kritik an Industrialismus, Kapitalismus und Konsumorientierung
~ Forderung nach einer grundlegenden „Umkehr“
~ Gemeinsamkeiten der Religionen und interreligiöser Dialog
● Bedürfnis nach einem „Guten Leben“ und Verantwortung für künftige Generationen
● Umweltbewusstseins-Studien:
~ Wachsendes Problembewusstsein „ethischer und nachhaltiger Konsum“
~ Ansatzpunkte: Kinder, Gesundheit, Ernährung; Klima, Stadtentwicklung, biologische Vielfalt, Ausbeutung in der „Einen Welt“
~ Differenz zwischen Einsicht und Handeln, zwischen ethisch-politischen Anspruch und persönlichen Interessen
>> „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu“ (Udo Lindenberg, nach Ödon von Horvath)
4. Ethischer und nachhaltiger Konsum
● Ethik als Maßstab für das persönliche Leben
~ Kategorischer Imperativ der Nachhaltigkeit: „Handle so, dass zukünftige Generationen die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ein gutes Leben zu führen“
~ Selbstbegrenzung: angesichts einer drohenden globalen Selbstzerstörung hat das „menschenwürdige Überleben“ ethische Priorität
~ Empathie und Gerechtigkeit
~ Freiheit und Verantwortung
~ Menschenrechte als globaler normativer Rahmen
● Sozialethik und politische Verantwortung
~ Ethik als persönliche Motivation, Bewertung von Interessen und Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen
~ Verantwortung des Individuums in der Gesellschaft
~ Bedürfnisse, Lebensqualität, Lebensstil, Verzicht
~ Ethische Prinzipien begründen und legitimieren Politik und konkretisieren sich in politischen Zielen
● Individuelle, gesellschaftliche und politische Verantwortung; Rolle des Staates:
Wer hat welche und wie begründete Verantwortung wem gegenüber wofür? Wer kann dieser Verantwortung gerecht werden und wer schiebt sie auf jemand Anderen ab? Welche Verteilung der Verantwortung ist angemessen und „gerecht“?
>> „Verantwortung heißt im Wesentlichen: wissen, dass man ein Beispiel setzt, dass Andere folgen werden; in dieser Weise ändert man die Welt“ (Hannah Arendt)
5. Die Grenzen der individuellen Verantwortung überwinden
● Überforderungen des Individuums
~ Komplexe Probleme, kontroverse Analysen, Zielkonflikte
~ Fehlendes Wissen über die Ursachen und sozial-ökologischen Auswirkungen des Handelns
~ Nachhaltiger Konsum: Schafft die Nachfrage das Angebot?
~ Entlastung durch gesellschaftliche Regeln, Institutionen und gesetzliche Vorgaben
● Gegenstrategie: Gesellschaftliche „Selbstermächtigung“
~ Zivilgesellschaft als Ort der Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“ und Solidarität
~ Verbraucherschutz: Überwindung von Wissens- und Bewertungsproblemen
~ Produktsiegel: Entscheidungshilfe oder Etikettenschwindel?
~ Bildung für nachhaltige Entwicklung und Aufklärung
~ Experimentelle Handlungsmöglichkeiten und Lernprozesse vor Ort
-- Erste Schritte als Auslöser
-- Soziale Räume schaffen, sich gegenseitig stützen, motivieren, voneinander lernen
-- Solidarität heißt nicht nur Hilfe und Unterstützung, sondern auch/vor allem Erfahrung von gemeinsamem politischen Handeln
● Persönliche Vergewisserung
~ Checklisten, nachhaltiger Warenkorb
~ Ökologischer Fußabdruck
~ Individueller CO2-Fußabdruck
● Möglichkeiten und Grenzen konkreter Einzelschritte: Beitrag zur „Weltrettung“, begrenzte Wirkung oder bloße Symbolpolitik?
● Notwendig ist ein gesellschaftlicher und politischer Rahmen
„Ökoroutine verbindet den starken Staat mit dem Engagement an der Basis (Kopatz)“
>> „Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Wirtschaftssystem“ (Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell)
oder
„Nachhaltiger Konsum ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, der einen Lernprozess und eine politische Dynamik ermöglicht.“
6. Suffizienz – die Lehre vom „rechten Maß“
● Veränderung des Lebensstils und politische Suffizienzstrategien
~ Drei Formen nachhaltiger Politik: Effizienz, Konsistenz, Suffizienz
~ Die Grenzen von Effizienz und Konsistenz
~ Suffizienz als normative Grundorientierung
● Die vier E’s: Orientierung und Maßstab für eine Kultur des „guten Lebens“ (Wolfgang Sachs, nach Schneidewind/Zahrnt)
~ Zeit -> Entschleunigung
langsamer und zuverlässiger
Alltag – Langlebigkeit –Arbeits- und Lebenszeitpolitik
slow food, slow travel, programmierter Verschleiß, Garantiezeiten/Wartung, zeitautonomes Leben
~ Raum -> Entflechtung
näher und übersichtlicher, dezentral
statt globaler Arbeitsteilung regionale Wertschöpfung (Lebensmittel, Energie), Unternehmens-Entflechtung,
~ Besitz -> Entrümpelung
Orientierung am Nutzen, weniger ist mehr
Nicht-Kauf, Reparaturkultur, geplanter Verschleiß,
Verbraucherschutz, Selbstorganisation
mieten, mitnutzen, gebrauchte Produkte, Wegwerfprodukte, Recyklen:
Sperrmüll, Bauteilbörse, ebay, Pfand, Langlebigkeit
~ Markt -> Entkommerzialisierung: dem Markt entzogen und selbst gemacht
share economy: teilen und tauschen, öffentliche Bücherschränke,
Teilhabe an Gemeingütern (commons)
Nachbarschaftshilfe, Eigenarbeit, Eigenversorgung
>> „Lebensstilpolitik“: Wir brauchen eine „Lebensstilpolitik“, die persönliches Verhalten unterstützt und erleichtert und Engagement und politische Interventionen miteinander verbindet
7. Staatliche Suffizienzpolitik
● Staat setzt den Rahmen für individuelles Handeln
~ „Öko-soziale Marktwirtschaft“
~ Gesetzliche Vorgaben und Infrastrukturpolitik
~ Mit Steuern steuern
~ Verbraucherschutzpolitik
● Staat als Vorbild, Vorreiter und Kommunikator
~ Leitbild „nachhaltige Entwicklung“ für staatliche Politik; Nachhaltigkeitsstrategien
~ Öffentliche Einrichtungen als Konsumenten: nachhaltige Beschaffung
~ Nachhaltigkeitsprüfungen für Gesetze, Pläne und Programme
~ Partizipationsprozesse ermöglichen, unterstützen und ernst nehmen
● Auf dem Weg zur Öko-Diktatur?
~ Neoliberalismus: „privat geht vor Staat“
~ Partikularinteressen und Gemeinwohlorientierung
~ Stärkung gesellschaftlicher Initiativen
~ Demokratie und Partizipation als Voraussetzungen von Nachhaltigkeit
>> „Ökoroutine“ (Kopatz): „Damit wir tun, was wir für richtig halten“
>> „Damit gutes Leben einfacher wird“ (Schneidewind/Zahrnt)