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Unterhalb der Linie befindet sich, was der freie Athener nicht sein oder sehen will: Welt, Frau (Mater/Materia), Körper, Begrenztheit, Sklave, Abhängigkeit, Bedürftigkeit, Gefühle, Oikos, Natur (von nasci=geboren werden) Barbarenland, Dienst...
Seit denkende Männer diese zweigeteilte Ordnung erdacht haben, ist viel Zeit vergangen: ungefähr zweieinhalb Jahrtausende. Da gab es etliche Leute und Bewegungen, die die starre Zweiteilung in Frage gestellt haben, zum Beispiel:Jesus von Nazaret, der die prophetische Herrschaftskritik Israels neu formulierteDie alte Kirche, die mit ihrer Lehre von der Dreifaltigkeit und vom geborenen GOTT zum Ausdruck brachte, dass GOTT irgendwie mehr sein muss als ein „höheres Wesen“ irgendwo oben. Das Mönch- und Nonnentum mit dem befreienden Motto „ora et labora“Die MystikerInnen des Mittelalters, die den direkten Weg zu Gott nahmen, statt sich der kirchlichen Hierarchie zu unterwerfenDie Reformation, die bestimmte klare Oben-Unten-Grenzen ausser Kraft setzte, zum Beispiel die zwischen Klerus und Laien oder die zwischen Sakralraum und Welt. (Allerdings hat die Reformation bestimmte Grenzen auch wieder verfestigt, zum Beispiel indem sie das Klosterleben abschaffte und so Frauen klarer als zuvor in den Bereich der Ehe und des abhängigen Haushaltes verwies)Immanuel Kant mit seiner genialen Definition der unverlierbaren menschlichen WürdeEinige Romantiker und Romantikerinnen, die an der Spitzenstellung der „männlichen“, sprich: abstrakten Vernunft zweifelten und andere.
Die zweigeteilte Ordnung hat also Risse, seit sie existiert. Und dennoch prägt sie uns bis heute, wenn auch inzwischen meist unauffällig und in immer wieder neuen Verkleidungen. Ich gehe jetzt nicht auf die Frage ein, wie es zu den inhaltlichen Transformationen gekommen ist. Wichtig zu wissen ist: diese Transformationen haben die zweigeteilte Ordnung als solche vorerst unangetastet gelassen. Hier nur die wichtigsten Ergebnisse:
Erstens: Das Wort „Gott“, das uns hier besonders interessiert, hat seinen Spitzenplatz abtreten müssen an Konzepte wie „Vernunft“, „Objektivität“ oder „Wissenschaft“. Von Gott zu sprechen, religiöse Betätigung überhaupt, gilt entsprechend im Westen als „Privatsache“ und damit tendenziell als belangloser Weiberkram. Das ist übrigens ein Grund für Konflikt mit MuslimInnen, die sich die Entthronung GOTTES nicht bieten lassen. Ich selber bin einerseits froh, dass der „Herrgott“ entthront ist. Andererseits bin auch ich nicht einverstanden damit, an die Stelle des Göttlichen, der Transzendenz einfach Menschliches (Vernunft, Wissenschaft, Expertokratie...) zu setzen.
Zweitens: Die Sklaverei ist abgeschafft. Dafür konstruiert man uns immer wieder Menschengattungen, die uns als minderwertig gelten sollen und daher die Arbeit der Sklaven übernehmen: Hausangestellte und Landarbeiter aus Weissrussland, der Ukraine etc., Textil-, Sex- und Unterhaltungsarbeiterinnen aus Südostasien, immer noch ziemlich viele Hausfrauen, die gratis die vermeintliche Freiheit und Gesundheit der Herren Väter herstellen und mehr.
Drittens: In der oberen Hälfte befinden sich jetzt Geld und Markt, also das „höhere“ Gesetz des Tausches, unten wursteln nach wie vor diejenigen Leute, die sich mit realer Bedürfnisbefriedigung befassen: Mütter, Pflegerinnen, Kleinkinderzieherinnen, Müllabfuhr, Reinigungsdienste, Subsistenzlandwirtschaft usw.
Wir haben jetzt ein – zugegeben etwas vereinfachendes - Bild der noch geltenden, aber heute vergehenden symbolischen Ordnung vor uns. Und jetzt veranschauliche ich durch eine einzige Linie, was heute passiert: ich streiche die horizontale Trennlinie in der Mitte durch. Dadurch entsteht das, was ich „das postpatriarchale Durcheinander“ nenne.
Sie können sich jetzt vorstellen, dass all die Begriffe, die ehemals in ordentlichen Paaren sortiert waren – manchmal spreche ich von „begrifflichen Ehebetten“ – fröhlich durcheinander fliegen. Dadurch entsteht ein eigenartiges Gefühl: Es wird uns schwindlig. Wir wissen nicht mehr, was oben und unten ist. Wir verlieren die Orientierung. Und das ist gut so.
Und damit wäre ich wieder bei meinem Buch zum Glaubensbekenntnis angelangt. Es enthält nämlich genau diesen Versuch, im postpatriarchalen Durcheinander neu von ETWAS zu sprechen, nämlich von GOTT. Und zwar ausgehend von einem der traditionellsten und daher unbeliebtesten Texte, die die christliche Tradition zu bieten hat.
Von GOTT: also von der Realität, in die ich irgendwie noch mein Vertrauen setze, obwohl ich sie nicht mehr so benennen kann wie die vergehende Ordnung. Ich werde Ihnen jetzt also, wie versprochen, einige Stellen aus diesem Buch vorlesen. Die Auswahl ist mir schwer gefallen. Denn ich will natürlich, dass Sie das ganze Buch lesen. Tatsächlich wächst die Gefahr von Missverständnissen und Verkürzungen des Gemeinten, wenn ich auswähle. Dieses Risiko gehen wir jetzt einfach ein. Wir werden ja nachher noch Gelegenheit zum klärenden Gespräch haben.
Die Matrix
Ich setze noch einmal mit derselben Frage ein, mit der ich diesen Vortrag begonnen habe: Was ist ein Bekenntnis - jetzt für das postpatriarchale Denken? Es ist ein Geschenk. Ein Geschenk unserer Vorfahrinnen und Vorfahren. Dazu der erste Ausschnitt aus dem Buch:
S. 17f
Das apostolische Glaubensbekenntnis, das ich in diesem Buch Satz für Satz ausgelegt habe, ist also ein Geschenk. Eine Mitteilung aus meiner Matrix, die ihrerseits Teil einer Tradition ist. In meinem Fall der christlichen Tradition protestantischer Prägung.
Für mich war meine Tante besonders wichtig. Ihr gilt der allererste Abschnitt dieses Buches. Ich lese Ihnen diesen kurzen Abschnitt vor:
S. 11
Auch meine Mutter und mein Vater waren wichtig und kommen deshalb im Buch immer wieder vor. Später mein Mann, meine Tochter und andere. Pfarrer und Theologieprofessoren eher weniger. Obwohl ich letzteren doch viel Wissen verdanke, und die Freiheit, mich alten Texten kritisch, von verschiedenen Seiten her anzunähern.
So, jetzt kennen Sie so ungefähr den Rahmen, innerhalb dessen ich dieses Projekt, als post- also nachpatriarchale Denkerin das apostolische Glaubensbekenntnis auszulegen, in Angriff genommen habe.
Gott sprechen
Als Nächstes möchte ich mich der Frage zuwenden, wie ich mich dem Wort „Gott“, also dem UNVERFÜGBAREN ANDEREN schreibend angenährt habe. Andere auch mögliche Themen, zum Beispiel die postpatriarchale Auslegung von Wörtern wie „Schöpfung“, „Allmacht“, „Kirche“ oder „Sündenvergebung“ müssen jetzt also zurückstehen und warten darauf, gelesen zu werden.
Auch Gott ist ein Geschenk: ein Wortgeschenk, das ich von meinen Älteren bekommen habe, noch bevor ich sprechen konnte. Ich lese einen kleinen Ausschnitt:
S.15 ganz unten („Soweit...“), 16 oben (bis „...beantworten sollten“)
„Ja aber!“, denken Sie jetzt vielleicht.
„Ja aber, Gott ist doch das unverfügbare höhere ewige Wesen, an das wir glauben!“
Mag sein, dass auch das „höhere Wesen“ in der postpatriarchalen Ordnung noch irgendwie einen Sinn hat. Sicher ist aber, dass Gott mir zuerst als Wort begegnet ist. Als zentrales Sinngebungswort, das es mir ermöglicht hat, mich in meinem Dasein zu orientieren. Als Geborgenheitswort, dem ich Fragen, die ich nicht alleine beantworten konnte, vertrauensvoll übergeben konnte. Als Rätselwort, über das sich unendlich nachdenken und diskutieren liess. Als eine Art Wortbehälter für alle möglichen Gefühle: Wut, Begeisterung, Verzweiflung, Angst, Ratlosigkeit.
Anderen Menschen wurden andere Wörter geschenkt: Allah zum Beispiel, Mohammed, Maria, ...MODIMO, DEVA, HANANIM, GOYAKALU, UNKULUNKULU, AGWATANA, TAMASA, ALLAH, JHWH, SHANG-TI, OWUSO, JANAHARY, INAN... Auf einer Webseite des Bibelarchivs Vegelahn2 sind achthundertsechsundzwanzig Namen aufgelistet, die, so nehme ich an, Ältere in anderen Teilen der Welt menschlichen Neuankömmlingen weitersagen, wenn die sie fragen, woher Menschen, Tiere und Pflanzen kommen, wohin sie gehen und wer sie durchs Leben trägt. Wer wollte in dieser Fülle entscheiden, was wahr ist und was weniger?
Wenn wir Gott zunächst einmal als Wortgeschenk betrachten, dann sind wir ganz viele Probleme los, die uns seit Jahrhunderten und bis heute viel Mühe machen. Zum Beispiel das Problem, Gottes Existenz zu beweisen. Oder darüber zu entscheiden, welcher Gott wahrer ist als irgendein anderer.
Es lässt sich nämlich kaum bestreiten, dass Gott als Sinngebungswort existiert, mit dem unzählige Menschen sich in ihrem Dasein orientieren. Als solches will Gott ernst genommen werden, ganz unabhängig davon, was in irgendwelchen möglicherweise existierenden, möglicherweise aber auch fiktiven „höheren Sphären“ abgeht.
Ich lese wieder ein Stück aus dem Buch:
S. 35, S. 37
Ich persönlich habe mit dem Sinnwort „Gott“ eine gute Kindheit erlebt. Was allerdings nichts daran ändern konnte, dass ich im Jugendalter, und noch mehr als Studentin der Germanistik und der Theologie, einiges von dem, was man mir mit diesem Wort auch noch ungefragt mitgeliefert hatte, in kritische Auseinandersetzung mit meiner Tradition eingetreten bin. Ich lese dazu den Anfang des vierten Kapitels:
S. 44f
Diese Auseinandersetzung war natürlich vor allem angeregt durch die Feministische Theologie, die ihrerseits an den kritischen Geist meiner Mutter und meines Vaters anknüpfen konnte. Meine Mutter kam zwar aus dem Dunstkreis des schwäbischen Pietismus, hatte sich aber schon in ihrer Jugend weitgehend davon losgesagt. Mein Vater war aus mir unbekannten Gründen aus der Kirche ausgetreten. Ich hatte daher von Kindheit an alle Freiheit, mich in kritische Beziehung zu meinem Geschenk zu setzen.
Und solche Freiheit ist wichtig, damit es schliesslich zu einem geklärten, freundlichen Verhältnis zur eigenen Tradition kommen kann. Also dazu, dass das Wortgeschenk der Tante sich langfristig als hilfreich erweist.
Zu meinem heutigen Gottesbegriff möchte ich noch den Schlussabschnitt des Buches vorlesen. In diesem Abschnitt, in dem es um den Abschied vom Schreiben dieses Buches und gleichzeitig um den Abschied von afrikanischen Freundinnen geht, wird deutlich, dass GOTT für mich heute vor allem LEBENDIGE BEGLEITERIN ist, ein GROSSES UMUNSHERUM, das mich auch mit Menschen und Situationen verbindet, die nicht mehr da, aber Teil meiner Matrix Welt sind:
S. 181f
Mit diesen Sätzen aus Psalm 139, dem Lieblingspsalm meiner Mutter, endet das Buch.
Und nun würde ich Ihnen natürlich auch gern noch erzählen, wie Jesus Christus und die Heilige Geistkraft, wie also die Dreifaltigkeit im Buch entfaltet ist. Oder besser gesagt: wie sie sich im postpatriarchalen Durcheinander entfalten kann. Dieses Buch ist ja nur ein erster Schritt aus dem Durcheinander ins Durch einander.
Das Wort Durcheinander kann man nämlich auf drei verschiedene Weisen schreiben: Durcheinander in einem Wort: das macht ein bisschen Angst, bringt uns aber zum heilsamen Aufräumen. Durch einander in zwei Worten: das zeigt, wie wir die Sache angehen können: durch- und miteinander. Und durch ein Ander in drei Worten: da kommt GOTT wieder herein, das grosse ANDERE, das uns, da bin ich mir gewiss, weiterhelfen wird, wenn wir stecken bleiben.
Und jetzt habe ich vorerst genug geredet und freue mich aufs Gespräch.
___________________________________ 1 Christoph Bochinger, Art. „Bekenntnis I. Religionsgeschichtlich“, in: RGG Bd. 1, Tübingen 1998, 1246 (Hervorhebung I.P.).
2 http://www.bibelarchiv-vegelahn.de/gott.html
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